Poesie muss sich wieder lohnen: Ein Gespräch mit dem Schriftsteller Şafak Sarıçiçek
Interview: Yelizaveta Landenberger, ND,
Frage:
Die Fischfresser-Zyklus-Gedichte in Ihrem neuen Lyrikband
»Wasserstätten« gefallen mir besonders gut. Darin geht es um
Massenproduktion von Fisch einerseits, Ausbeutung und Entfremdung der
Arbeitenden, die mit dem Fisch hantieren, andererseits – wie Menschen
in Gastronomieberufen gewissermaßen selbst zu Fisch werden. Aber wieso
sind Wasser und Fische in Ihrer Lyrik so präsent?
Antwort S. Saricicek:
Die Wasserthematik zieht sich durch meine gesamte Lyrik. Fische
können Verschiedenes symbolisieren: das Weibliche, das Kind,
Verletzlichkeit, Unschuld, Naivität. Wasser hat dieses Verbindende und
Fluide, es umgeht Hindernisse, findet seinen Weg. Gleichzeitig ist es
das Verbindende im geografischen Kontext, bewegt sich zwischen Ländern,
so wie ich. Und es gibt diese mystische Dimension: Wir können Wasser
nicht richtig erfassen, gleichzeitig bestehen wir selbst zu einem
erheblichen Teil daraus. Der Zyklus hat sich ergeben, weil ich selbst in
der Gastronomie gearbeitet habe. Hier ist übrigens noch eine Brandnarbe
davon an meinem Arm.
S. Saricicek, Foto: Yelizaveta Landenberger |
Frage:
Finden Sie es frustrierend, dass das Lyriker-Dasein so schlecht bezahlt ist?
Antwort S. Saricicek:
Absolut. Wie wenig Lyrik wertgeschätzt wird. Oder allgemein: Dass
schnell an der Kultur gespart wird, als ob sie Luxus wäre.
Schriftsteller sind so wichtig, weil sie jenseits der Profit-Logik
gesellschaftlichen Reichtum aufbewahren. Jeder Mensch hat das Potenzial,
Lyrik zu rezipieren, aber man ist zu gehetzt. Deswegen beschäftigt sich
hierzulande hauptsächlich eine akademisierte Bubble damit. Das muss
nicht so sein: In der Türkei wird Lyrik mehr wertgeschätzt, da kann ein
Bauer Gedichte von Ahmed Arif oder Nazim Hikmet vortragen, da hat Lyrik
wirklich noch eine kollektive Funktion – auch vermeintlich schwierige
Lyrik. Dass Lyrik in Deutschland so ein geringer Stellenwert zukommt,
weist darauf hin, dass unsere Gesellschaft ins Konsumistische abrutscht.
Die Lyrik, die immerhin noch breiter rezipiert wird, ist oft so
trivial. Das hängt mit den Produktionsverhältnissen und der
Aufmerksamkeitsökonomie unserer Gesellschaft zusammen. Und wenn Lyrik
wertgeschätzt wird, dann auf technokratische Weise: Gedichtanalysen mit
eindeutigen Deutungen. Damit bereitet man so vielen Generationen von
Kindern Hass auf diese schöne Form – und man banalisiert sie.
Şafak Sarıçiçek (*1992 in Istanbul) ist ein in
Heidelberg lebender deutschsprachiger Dichter mit Zaza-Wurzeln. Er
studierte Jura in Heidelberg und Kopenhagen und absolviert aktuell sein
Referendariat. Bislang veröffentlichte er sechs Lyrikbände. Zuletzt
erschien im Herbst 2023 sein neuer Gedichtband »Wasserstätten«. 2023
erhielt er den Hanns-Meinke-Preis sowie ein Jahresstipendium für
Literatur der Kunststiftung Baden-Württemberg.
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