Nürnberger Nachrichten / Erlanger Nachrichten
Lyrikband "Storchenstolz"
Drei mal neun: 27 Gedichte eines Erlangers zwischen Antike und Liebessehnen laden zum Mitfühlen ein
4.1.2025
link: Erlanger Nachrichten
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Lyrikband "Storchenstolz"
4.1.2025
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Linolschnitt: Steffen Büchner |
Florian Birnmeyers Gedichtband „Storchenstolz“
Stolz und Demut, Fall und Aufstieg, Morpheus‘ magische Träume, Macht und Ohnmacht schwuler Liebe … Es sind mächtige Gefühle, die der 33jährige Florian Birnmeyer in seinem „Storchenstolz“ aufruft – und zunächst Anleihen macht in der griechischen Mythologie.
Das Wasser
Meiner Nemesis
Säuselt leise
Schleift die Steine
…
(Aus: Im Nass)
Nymphen im Halbschatten und lüsterne Bacchanten, Orpheus, der Eurydike erneut „ans Ewige verliert“ – da wird viel Personal aufgefahren, das metaphorisch Melancholie transportiert und Sehnen, das Angst vor der Rachegöttin beklagt und drängend nach Heimat ruft:
Die Seelen
Wandern
Wie Nachen
Auf dem Fluss
Des Lebens.
…
So unversehrt
Im Tiefsten
Sehnsuchtsvoll
Nach Einkehr bittend
Zur Heimat hin.
Einheit.
So.
(Aus: Unter der Weide)
Eine charmante Eigenart übrigens: Dieses „So.“. Es beeendet jedes der 27 Gedichte. Man kann es als Trotz lesen, als Triumph – oder schlicht als selbstbewusstes Statement. Hier hat jemand seinen Standpunkt gefunden und tut ihn der Welt nun kund. (Und kommt sogar ohne Ausrufezeichen aus.)
„Neun Gedichte aus antiker Zeit“ hat Birnmeyer, den ersten Teil des schmalen
Bandes genannt; „Neun Gedichte vom Liebeserwachen“ heißt der zweite.
Gleich eingangs wird offenbar ein schwules coming out geschildert;
Erleichterung klingt durch und Erschrecken.
Du hast ihn erblickt,
bist nun,
wo zu sein dir richtig dünkt,
In deinem Land der Sinne,
Gefühl der Ruhe
und des Aufruhrs zugleich.
(Aus: Ruhe und Aufruhr)
Ein veraltetes „dünkt“ irritiert an dieser Stelle – wie an anderer Stelle „dräuend“, „gülden“. Eine Sinnhaftigkeit erschließt sich hier nicht. Diese tritt in „Vampirdomizil“ allerdings unverblümt und witzig zutage:
„Wer hat den besseren
Biss?
Wer von uns hat
Mehr Jünglinge gerissen?“
Florian Birnmeyer ist in „Storchenstolz“ kein Mann vieler Worte. Opulenz ist seine Sache nicht. Eher Bescheidenheit, die knappere Form; und wo es bei anderen glüht, ist es bei ihm eher ein Glitzern, hell, hartnäckig und beständig. So wie im namengebenden „Storchenstolz“:
Du meine Knospe
Noch leicht geschlossen
Wundersam daran genippt
Im Morgentau des
Ersten Tages –
„Neun Gedichte vom Fallen und Wiederaufstehen“ heißt der dritte Teil. Es geht um Dankbarkeit angesichts gelebter Liebe. Um den Tod eines Freundes, der beklagt und dennoch mit innerem Frieden angenommen wird.
In gleich drei Gedichten klingt das Thema Epilepsie an.
Weiße Schäume stoßen hervor
Ergießen sich um deinen Mund.
Sie knospen auf
Wie eine salzige Blüte
Die sich beständig vermehrt.
(Aus: Rückkehr ins Leben)
Das letzte Gedicht heißt „Aufbruch“. Es nimmt das Storchenbild wieder auf und ist Appell – könnte angesichts neu erblühender queerer Diskriminierung auch als politischer Appell gelesen werden:
…
Da erhob sich der
Storch aus Ostwest
In die Lüfte
Flog durch die Weiten
Getaucht in ein Türkis des Himmelsblau
In seiner weißrosarotschwarzen Anmut.
Lasst uns dasselbe wagen –
So.
„Storchenstolz“ ist erst kürzlich im Verlag der 9 Reiche – Lyrik Edition NEUN – erschienen. Der Name ist Programm: Je dreimal neun
Gedichte umfasst jeder Band der schön gestalteten Reihe, kongenial ergänzt
durch Linolschnitte von Steffen Büchner. Der in Nürnberg lebende Florian
Birnmeyer studierte Frankoromanistik und Latinistik an der Uni
Erlangen-Nürnberg und an der Sorbonne in Paris. Er arbeitet als Dozent,
Literaturkritiker und Rezensent und promoviert in romanistischer
Sprachwissenschaft.
Seit mehreren Jahren betreibt er einen Literaturblog.
Nicht Edelweiß noch Miere weisen den Weg
Zu einem arkadisch durchflößten Leben ⋅ für mich
Und dich ⋅ bis dann Basaltgesteine anheben:
Zu einer Steinblume ⋅ die ein Geländer bildet
Um neunundneunzig Stufen zu einer Pforte
Hinter der ich deine geheime Insel vermute.
(Steinblume)
Ich schreite voran und schreie nach dem SinnDieser schroffen Wüste voll rauer SedimenteDoch ich finde den See mit den rosa Flamingos.
(Salzblume)
Über dem Obelisken ⋅ der an den Himmel reichtAhne ich die Blitze aus Glanz der vier ThronengelMichael ⋅ Uriel ⋅ Gabriel ⋅ Raphael. Am WeltentischLenken sie meinen Blick in vier Sonnenrichtungen:
Afrika im Süden ⋅ am Nil ⋅ gehüllt in Vergangenheit
Der ersten Menschen ⋅ die hier aufgetaucht sind.
Wer vermutete hier den Quell des Entstehens?
Im Klingen erwacht aus dem Schlafe die Nacht ⋅
Die Mondlibellensichel leuchtet den Flügelwesen
Ihren Weg. Wie Glühwürmchen im Pizzicatoschritt
Finden elfische Gäste sich zur Mittsommernacht ein.
Siebenmal blitzt im Regenbogen der Harfenhall,
Die Schar der Geigen schiebt Nässewolken fort
Und letzte Tropfen malen den Farbenkreis.
Traurigkeit schmelzt [sic!] meine Kraft ⋅ wenn andereSpotten ⋅ weil ich süße Worte dir widme ⋅ wieAuch den Engeln oder Epheben – Da trittst duAuf meine Schwelle und lockst mich ins Freie.
Ein Gebet den Verteidigern ⋅ denen mit jedem RufDer Geige ⋅ eine Blume aus der Heimaterde wächst ⋅Mit weißen Blüten aus Schmerz. Über Dornen wehtDer Wind zum Traum ⋅ einer Rückkehr in die Freiheit.
Band 25 der Lyrik Edition NEUN wird wieder ein Debüt sein.
Florian Birnmeyer mit dem schönen Titel "Storchenstolz".
Die Gedichte sind inzwischen ausgesucht und lektoriert.
Hier bereits ein Blick auf Steffen Büchners Linolplatte:
Ralf Gnosa liest ein Gedicht aus seinem Band "Unterreich" - Lyrik-Edition NEUN, Band 34 und spricht über seine Archivarbeit in...