Verlag der 9 Reiche — Lyrik Edition NEUN — Literatur im Quadrat — Grafik — Vorzugsausgaben

„Wisse, daß jedwede Zahl nichts anderes ist als 9 oder ein Vielfaches davon, zuzüglich eines Darüberhinausgehenden. Wer das Darüberhinausgehende und den Multiplikator von Neun kennt, der kennt das Wesen und die Zahl in jeder Beziehung.“ --- Ibn Sina (lat. Avicenna, persischer Philosoph, Dichter, Arzt, Astronom, Alchemist, 980-1037)
Posts mit dem Label zugetextet werden angezeigt. Alle Posts anzeigen
Posts mit dem Label zugetextet werden angezeigt. Alle Posts anzeigen

Donnerstag, 19. September 2024

Rezension zu Thomas Rackwitz von Walther Stonet, "Zugetextet.com"

 
Rezension vom 16.09.2024 zu Thomas Rackwitz "Urknallstaub" 
auf 
Zugetextet.com. Feuilleton für Poesie - Sprache - Streit - Kultur
 

Link zur Rezension auf der Webseite:

Rezension auf "Zugetextet.com" von Walther Stonet

 

Nicht angestaubt – nein: glänzend

 
Thomas Rackwitz, Urknallstaub, Lyrik Edition NEUN  Nr. 27, Verlag der Neun Reiche, Berlin 2024, ISBN 978-3-948999-27-8, 32 Seiten, 125×190 mm, Fadenheftung, illustrierte, nummerierte und signierte Ausgabe, 
Normalausgabe (Broschur): 9 Euro
Vorzugsausgabe (Hardcover): 33 Euro 
— limitiert auf 9 nummerierte und signierte Exemplare mit einem Original-Linolschnitt von Steffen Büchner (Sammlerexemplare ohne ISBN, außerhalb des Buchhandels).
 

Es ist durchaus nicht immer eine reine Freude, einen Gedichtband zu besprechen. Das mag daran liegen, dass insbesondere die kleinste Form der Sprachkunst zugleich die privateste und emotionalste ist. Weil es so leicht scheint, Poesie zu schreiben, sodass sich jede und jeder berufen fühlt, solche zu verfassen. Weil dieses kleine Kunstwerk in der Rezeption sich der sachlichen Betrachtung zu entwinden scheint und daher Kritik immer auf ein Nicht-Gefallen reduziert zu werden droht.

Der kleine Band von Thomas Rackwitz ist genau das: reine Freude. In seinem Sonettkranz…
Jetzt wird klar, warum der Rezensent von reiner Freude spricht, schreibt er doch ebenfalls Sonette. Brothers in crime. So einfach und so falsch …

am rande dieser lichtverschmutzten stadt
versteh ich nicht, warum ich dir verschweige,
wozu es gut ist, dass nichts wirklich bleibt.

Das zweite Terzett aus dem neunten Sonett des Sonettkranzes (S. 13)  macht klar, warum alles anders ist, als es aussieht. Denn es kommt darauf an, wie man mit der Sprache umgehen kann. Es kommt nicht darauf an, dass man sie schreibt. Oder rezitiert. Oder singt.

die jahresringe ändern sich im licht,
es kommt die nacht, die deine seele überschreibt,
wenn alles, was nie war, von vorn beginnt.

Das zweite Quartett aus dem 15. (S. 19), dem Meistersonett, das alle letzten Verse der vierzehn Sonette eines Sonettkranzes vereint, lässt spätestens erkennen, dass ein Meister tätig war, als dieser Kranz entstand. Und der kann nur das? Nein, der kann mehr:

vorbei sei die zeit der zaubersprüche, heißt es. 
eröffnet die treibjagd die böschung hinab.
hufe knicken um im geröll. motoren bellen.

Die drei ersten Verse (S.31) des dritten Gedichtes des Triptychons „harzland, unreife gegend“, das eine poetische Ode an die Heimat des Autors ist, beweist, dass da mehr ist als „nur Sonette“. Thomas Rackwitz ist ein Poet, der sich in alten Formen auskennt und sie, wo nötig, überwindet. Zugleich ist er eine der besten Vers-libre-Dichter, die wir gerade im deutschsprachigen Raum bei uns haben. Wir sollten uns geehrt fühlen, dass es ihn gibt.



Mittwoch, 1. November 2023

Zugetextet.com - Rezension für Steffen Marciniak

Poetische Potenzen

 
Steffen Marciniak: „Prinzenverstecke“
9. Oktober 2023 – Rezension von Thomas Rackwitz
 
 Link zur Rezension ... auf der Seite von Zugetextet.com:
 
 

„Prinzenverstecke“ heißt der neue Gedichtband von Steffen Marciniak. Er erschien im Laufe des Jahres 2023 in der Lyrik-Edition NEUN. Hier ist der Name Programm. Die Zahl 9 steht im Mittelpunkt, auch des zugehörigen Verlags der 9 Reiche. Nicht ganz zufällig fiel Marciniaks Reihen-Debüt auf die 9. Wie die anderen schmalen Bücher der Reihe ist auch dieses kunstvoll gestaltet und mit mehreren Linolschnitten des Künstlers Steffen Büchner versehen. Marciniaks Hang zur Form lässt sich nicht nur an der äußeren Gestaltung des Buches ablesen, sondern auch an der Form der Gedichte. Insgesamt beherbergt „Prinzenverstecke“ 27 Gedichte, die sich auf 3 Zyklen zu je 9 Gedichte unterteilen.

Schon im ersten Teil, der sich vordergründig um existente und phantasierte Blumen dreht, ist die Zahl 9 als Sinnbild der Vollkommenheit formal betrachtet von Bedeutung. Die Gedichte bestehen aus drei Strophen zu je drei Versen, durchtränkt von Binnenreimen und Alliterationen. Und diese Verse haben es in sich. Oft werden hier scheinbare Gewissheiten konterkariert, wenn das Übernatürliche ins Bild gerät, so etwa im Gedicht „Feuerblume“. Dort „gleitet“ die Lava „langsam“ den „erschöpften Berg“ hinab. Auf der zweiten Sinnebene wird deutlich, dass es sich an vielen Stellen im ersten Zyklus um erotisierende Gesten handelt. Allerdings bleibt es bei einem einseitigen unterwürfigen Versuch, mit dem lyrischen Du Kontakt aufzunehmen bzw. es aus seinen Verstecken zu locken. Erst im letzten Vers des ersten Zyklus kommt es zur Verschmelzung des lyrischen Ich mit dem lyrischen Du („Wir umfangen uns beide“).

Eine ähnliche Verletzung scheinbarer Sicherheit findet sich im Gedicht „Meeresblume“. Hier umschäumt Gischt „die Grotten der Götter“, und zwar in den „abgründigen Meerestiefen“. Neben der gehobenen Sprache („Demanten“, „entschwunden“) weiß Marciniak mit Neologismen wie „cirruskraus“ (aus „Wolkenblume“) zu überraschen. Obendrein sollte die expressionistische Emphase („Ein Sturm rollt“) nicht unerwähnt bleiben, die zwischen den Versen hindurchschimmert, wenngleich sie vom Wesen her eine Generation früher zu verorten sind und an Stefan Georges Kreis erinnern. Obwohl sich Parallelen zu George nicht von der Hand weisen lassen (wie ein Verweis im Gedicht „Acht Winde“ suggeriert), sind es Marciniaks Einschübe, die diesen Versen eine Eigenständigkeit zugestehen.

Auch im zweiten Zyklus, in den „Ziffermythen“, wie der Name es bereits vermuten lässt, geht es um Zahlen, allerdings inkrementell. Während die ersten Verse sich um die biblische Schöpfungsgeschichte drehen, verlagert sich das Setting im zweiten in die griechische Mythologie. Passenderweise weist das Dioskuren-Gedicht als einziges in diesem Zyklus keine Strophen auf („nie mehr getrennt“). Es folgen weitere bildstarke, sinnliche Gedichte, in denen Marciniak es schafft, seine Verse zum Leuchten zu bringen, die auch synästhetische Untermalungen finden. Insbesondere „Drei Orangen“ fällt hier positiv ins Gewicht. Je mehr Zahlen in Spiel kommen, desto offener gestaltet sich die darin beschriebene Welt („Wir Elemente verschmelzen im Universum“). Trotz aller Weitläufigkeit und unterschiedlichster Mythologien, die das Rückgrat dieser Gedichte bilden, taucht ein Motiv wiederholt gedichtübergreifend auf: die Einsamkeit des Betrachters.

Im dritten und letzten Zyklus geht es in den hohen Norden und in den Sonnenuntergang. Auffällig ist hier, dass den Gedichten eigene QR-Codes beigegeben sind. Diese wiederum führen zu verschiedenen Symphonien, die die Musikalität („Nordlauschen“) der Verse nochmals unterstreichen. Waren die Gedichte im ersten Zyklus voll Hoffnung, im zweiten teilweise hymnisch, ist der Grundton im letzten Zyklus elegisch, ja geradezu vergiftet morbid. Es sind unwirkliche Schauplätze, in denen man die Verwesung regelrecht riechen kann: „In das faulige Seegrashaar der Hexe Kalma.“ Im letzten Gedicht des Zyklus verlässt Marciniak den traumwandlerischen, mythologischen Pfad der Winterländer und findet sich mit „Ukrainische Gebete“ auf dem tagesaktuellen, politischen Schlachtfeld wieder. So schließt sich der Kreis, denn Gebete sollen vor allem zweierlei: nicht auf taube Ohren stoßen und die Hoffnung (des Anfangs) vervielfachen. Und das sei auch dem Autor dieses bemerkenswerten Gedichtbandes gewünscht.

Steffen Marciniak: Prinzenverstecke, Gedichte, Verlag der 9 Reiche, Berlin 2023, ISBN 978-3-948999-09-4, 32 Seiten, 125×190 mm, Fadenbindung, illustrierte, nummerierte und signierte Ausgabe. Euro 9,00.

Frühere Postings

Ralf Gnosa liest "Geisterstunde" aus seinem Buch "Unterreich"

  Ralf Gnosa liest ein Gedicht aus seinem Band "Unterreich" - Lyrik-Edition NEUN, Band 34 und spricht über seine Archivarbeit in...