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Rezension auf "Zugetextet.com" von Walther Stonet
Es ist durchaus nicht immer eine reine Freude, einen Gedichtband zu besprechen. Das mag daran liegen, dass insbesondere die kleinste Form der Sprachkunst zugleich die privateste und emotionalste ist. Weil es so leicht scheint, Poesie zu schreiben, sodass sich jede und jeder berufen fühlt, solche zu verfassen. Weil dieses kleine Kunstwerk in der Rezeption sich der sachlichen Betrachtung zu entwinden scheint und daher Kritik immer auf ein Nicht-Gefallen reduziert zu werden droht.
Der kleine Band von Thomas Rackwitz ist genau das: reine Freude. In seinem Sonettkranz…
Jetzt wird klar, warum der Rezensent von reiner Freude spricht, schreibt
er doch ebenfalls Sonette. Brothers in crime. So einfach und so falsch …
am rande dieser lichtverschmutzten stadt
versteh ich nicht, warum ich dir verschweige,
wozu es gut ist, dass nichts wirklich bleibt.
Das zweite Terzett aus dem neunten Sonett des Sonettkranzes (S. 13) macht klar, warum alles anders ist, als es aussieht. Denn es kommt darauf an, wie man mit der Sprache umgehen kann. Es kommt nicht darauf an, dass man sie schreibt. Oder rezitiert. Oder singt.
die jahresringe ändern sich im licht,
es kommt die nacht, die deine seele überschreibt,
wenn alles, was nie war, von vorn beginnt.
Das zweite Quartett aus dem 15. (S. 19), dem Meistersonett, das alle letzten Verse der vierzehn Sonette eines Sonettkranzes vereint, lässt spätestens erkennen, dass ein Meister tätig war, als dieser Kranz entstand. Und der kann nur das? Nein, der kann mehr:
vorbei sei die zeit der zaubersprüche, heißt es.
eröffnet die treibjagd die böschung hinab.
hufe knicken um im geröll. motoren bellen.
Die drei ersten Verse (S.31) des dritten Gedichtes des Triptychons „harzland, unreife gegend“, das eine poetische Ode an die Heimat des Autors ist, beweist, dass da mehr ist als „nur Sonette“. Thomas Rackwitz ist ein Poet, der sich in alten Formen auskennt und sie, wo nötig, überwindet. Zugleich ist er eine der besten Vers-libre-Dichter, die wir gerade im deutschsprachigen Raum bei uns haben. Wir sollten uns geehrt fühlen, dass es ihn gibt.
Britta Badura, Marita Bagdahn, Gisela Baudy, Helmut Blepp, Guido Blietz, Stefan Breitenfeld, Marvin Czerlinski, Lieselotte Degenhardt, Claudia Dvoracek-Iby, Barbara Finke-Heinrich, Hannelore Furch, Birgit Gerlach, Helga Maria Gorfer, Joachim Gräber, Tobias Grimbacher, Claus-Detlef Großmann, Daniel Grummt, Gabriele Hartmann, Christa Issinger, Diana Jahr, Andreas Köllner, Dorothee Krämer, Stefan Kühne, André Lamijon, Steffen Marciniak, I. J. Melodia, Eline Menke, Daniel Mylow, Isabel Neumerkel, Volker Oslender, Birgit Oßwald-Krüger, Victoria Pavot, Gabriele Pflug, Willemina Preiß, Ralf Preusker, Anita Prugger, Thomas Rackwitz, Birgit Rakette, Stephanie Richter, Peter Michael Röhm, Bettina Ronschke, Daniel Sander, Gabriele Schettler, Janine Schröter, Helga Schulz Blank, Mirko Swatoch, Magnus Tautz, Angela Hilde Timm, Annette Vonberg, Majon Wallis.
Gedicht der Woche (2.-9.Mai 2024) beim
Schon im ersten Teil, der sich vordergründig um existente und
phantasierte Blumen dreht, ist die Zahl 9 als Sinnbild der
Vollkommenheit formal betrachtet von Bedeutung. Die Gedichte bestehen
aus drei Strophen zu je drei Versen, durchtränkt von Binnenreimen und
Alliterationen. Und diese Verse haben es in sich. Oft werden hier
scheinbare Gewissheiten konterkariert, wenn das Übernatürliche ins Bild
gerät, so etwa im Gedicht „Feuerblume“. Dort „gleitet“ die Lava
„langsam“ den „erschöpften Berg“ hinab. Auf der zweiten Sinnebene wird
deutlich, dass es sich an vielen Stellen im ersten Zyklus um
erotisierende Gesten handelt. Allerdings bleibt es bei einem einseitigen
unterwürfigen Versuch, mit dem lyrischen Du Kontakt aufzunehmen bzw. es
aus seinen Verstecken zu locken. Erst im letzten Vers des
ersten Zyklus kommt es zur Verschmelzung des lyrischen Ich mit dem
lyrischen Du („Wir umfangen uns beide“).
Eine ähnliche Verletzung scheinbarer Sicherheit findet sich im Gedicht „Meeresblume“. Hier umschäumt Gischt „die Grotten der Götter“, und zwar in den „abgründigen Meerestiefen“. Neben der gehobenen Sprache („Demanten“, „entschwunden“) weiß Marciniak mit Neologismen wie „cirruskraus“ (aus „Wolkenblume“) zu überraschen. Obendrein sollte die expressionistische Emphase („Ein Sturm rollt“) nicht unerwähnt bleiben, die zwischen den Versen hindurchschimmert, wenngleich sie vom Wesen her eine Generation früher zu verorten sind und an Stefan Georges Kreis erinnern. Obwohl sich Parallelen zu George nicht von der Hand weisen lassen (wie ein Verweis im Gedicht „Acht Winde“ suggeriert), sind es Marciniaks Einschübe, die diesen Versen eine Eigenständigkeit zugestehen.
Auch im zweiten Zyklus, in den „Ziffermythen“, wie der Name es bereits vermuten lässt, geht es um Zahlen, allerdings inkrementell. Während die ersten Verse sich um die biblische Schöpfungsgeschichte drehen, verlagert sich das Setting im zweiten in die griechische Mythologie. Passenderweise weist das Dioskuren-Gedicht als einziges in diesem Zyklus keine Strophen auf („nie mehr getrennt“). Es folgen weitere bildstarke, sinnliche Gedichte, in denen Marciniak es schafft, seine Verse zum Leuchten zu bringen, die auch synästhetische Untermalungen finden. Insbesondere „Drei Orangen“ fällt hier positiv ins Gewicht. Je mehr Zahlen in Spiel kommen, desto offener gestaltet sich die darin beschriebene Welt („Wir Elemente verschmelzen im Universum“). Trotz aller Weitläufigkeit und unterschiedlichster Mythologien, die das Rückgrat dieser Gedichte bilden, taucht ein Motiv wiederholt gedichtübergreifend auf: die Einsamkeit des Betrachters.
Im dritten und letzten Zyklus geht es in den hohen Norden und in den Sonnenuntergang. Auffällig ist hier, dass den Gedichten eigene QR-Codes beigegeben sind. Diese wiederum führen zu verschiedenen Symphonien, die die Musikalität („Nordlauschen“) der Verse nochmals unterstreichen. Waren die Gedichte im ersten Zyklus voll Hoffnung, im zweiten teilweise hymnisch, ist der Grundton im letzten Zyklus elegisch, ja geradezu vergiftet morbid. Es sind unwirkliche Schauplätze, in denen man die Verwesung regelrecht riechen kann: „In das faulige Seegrashaar der Hexe Kalma.“ Im letzten Gedicht des Zyklus verlässt Marciniak den traumwandlerischen, mythologischen Pfad der Winterländer und findet sich mit „Ukrainische Gebete“ auf dem tagesaktuellen, politischen Schlachtfeld wieder. So schließt sich der Kreis, denn Gebete sollen vor allem zweierlei: nicht auf taube Ohren stoßen und die Hoffnung (des Anfangs) vervielfachen. Und das sei auch dem Autor dieses bemerkenswerten Gedichtbandes gewünscht.
Steffen Marciniak: Prinzenverstecke, Gedichte, Verlag der 9 Reiche, Berlin 2023, ISBN 978-3-948999-09-4, 32 Seiten, 125×190 mm, Fadenbindung, illustrierte, nummerierte und signierte Ausgabe. Euro 9,00.![]() |
Steffen Marciniak & Max Drushinin |
Ralf Gnosa liest ein Gedicht aus seinem Band "Unterreich" - Lyrik-Edition NEUN, Band 34 und spricht über seine Archivarbeit in...