Verlag der 9 Reiche — Lyrik Edition NEUN — Literatur im Quadrat — Grafik — Vorzugsausgaben

„Wisse, daß jedwede Zahl nichts anderes ist als 9 oder ein Vielfaches davon, zuzüglich eines Darüberhinausgehenden. Wer das Darüberhinausgehende und den Multiplikator von Neun kennt, der kennt das Wesen und die Zahl in jeder Beziehung.“ --- Ibn Sina (lat. Avicenna, persischer Philosoph, Dichter, Arzt, Astronom, Alchemist, 980-1037)
Posts mit dem Label Bitterblumen werden angezeigt. Alle Posts anzeigen
Posts mit dem Label Bitterblumen werden angezeigt. Alle Posts anzeigen

Mittwoch, 12. November 2025

Rezension im Signaturen-Magazin zu Matthias Schramms "Bitterblumen"

 
Florian Birnmeyer
 

Blüten, die nicht trösten: 

zu Matthias Schramms Bitterblumen


Blumen – man kennt sie als Dekor. Grußkartenästhetik, Wohnzimmervase, Sonntag-nachmittag. Ein Symbol, das sich abgenutzt haben müsste. Und doch wirken sie bei Matthias Schramm anders. Bitterblumen nennt er seinen 2025 erschienenen Debütband. Schon dieses Wort trägt den Riss in sich: Schönheit, die sich an etwas Reibendem wundstößt. Eine Blume, die nicht tröstet. Eine Erinnerung daran, dass die romantische „blaue Blume“ heute nicht mehr leuchtet, sondern nachgedunkelt ist. Sehnsucht, die einmal groß war und nun nur noch als Spur vorhanden ist.

Schramm, 1985 in Schlema im Erzgebirge geboren, weiß um diese Überlagerungen. Seine Gedichte sprechen nicht laut. Sie sagen nicht: „Sieh her, das bedeutet dies.“ Sie warten. Man muss sich ihnen annähern, und wenn man es tut, geschieht etwas Seltenes: nicht Pathos, sondern ein leises, verletzliches Staunen. Wie eine gepresste Blüte in einem Buch, schön, aber ohne Duft, und gerade deswegen schwer zu vergessen.
Die Landschaft, aus der diese Texte kommen, ist nicht Kulisse. Das Erzgebirge ist hier Organ, Resonanzkörper. Kein romantisch-verklärtes Landidyll, eher ein Ort, an dem Stille nichts beruhigt, sondern Rückwege öffnet. Flöze. Gruben. Rosen. Felder. Bäume. Butterblumen. Schlieren. Licht. Die Wörter sind einfach, beinahe unscheinbar, und gerade deshalb bleibt man. Man liest die knapp dreißig Seiten in einem Atemzug. Und hinterher bleibt etwas wie Trauer. Nicht, weil etwas vorbei wäre. Sondern weil die Natur sich zeigt, wie sie ist: entzaubert, und doch nicht verloren.

                    Ich denke oft an dich
wenn ich die Butterblume sehe
als die Sonne etwas in die Eiche
schrieb und uns zeichnete.
Und durch die Blumen sagtest du
habe nicht jede Rose Dornen
und nicht jeder Pfarrer ein Gebet.
 
Dass Schramms Texte musikalisch und malerisch wirken, überrascht nicht, wenn man seinen Weg kennt: zunächst Klavier- und Cembalobauer, später Studium von Grafik und Buchkunst in Leipzig. Diese Gedichte hören sich selbst zu. Sie atmen. Und sie wissen: Jeder Klang hat ein Verlöschen. Auch der Komponist, der in einem Gedicht auftaucht, ist nicht zufällig gewählt:

gustav-mahler-abendrot.
die flucht
aus lichtschlieren
an deren undenkbarem ende
das meer aller möglichen gedanken wartet
vergibt
die schuld
im apfelgrünen gewitter

Schramms Sprache bewegt sich. Sie bleibt nicht stehen, sie tastet, führt Bilder zusammen, löst sie wieder. Natur wird dabei oft personalisiert, synästhetisch überblendet. Das Provinzielle steht der Metropole entgegen, nicht als Rückzug, sondern als ein Ort, an dem Wahrnehmung sich konzentrieren kann. Romantik ist hier, ja, aber als spätes Echo, wissend, dass es spät ist.

wir legten uns in die faltbarkeit
des moments und
wurden ein origami;
eine schwalbensilhouette
die nicht mehr von freiheit
sang.

Die Typografie ist nicht immer konstant. Groß- und Kleinschreibungen schwanken, vor allem am Anfang. Manchmal wirkt es wie eine Suche, die erst nach einigen Seiten zur Ruhe findet. Vielleicht wäre hier ein wenig mehr Einheitlichkeit hilfreich. Vielleicht gehört aber auch das Schwanken dazu.

Der Band tritt in einen Dialog mit dem, was in der Gegenwartslyrik selten geworden ist: ernsthafte Formsuche. Man könnte an Marit Heuß oder Volker Sielaff denken. An eine Aufmerksamkeit, die nicht ironisiert, nicht sentimentalisiert. Bitterblumen verweigert sich dem „entweder oder“. Es findet eine dritte Haltung: zart, verletzlich, ohne Schutzschild, und genau deshalb von heute.

Am Ende bleibt ein Gedicht, das sich an jemanden richtet - oder an sich selbst:

Du suchst im Leben Stille und den Frieden
Doch auf der Suche nach den wahren Dingen
führt dich der lange Weg durch die Neurosen.

Man könnte sagen, diese Gedichte seien nicht zeitgemäß. Und doch erinnern sie an etwas, das wir nicht loswerden: Dass Gefühle nicht für die Oberfläche bestimmt sind. Dass nicht jeder Mensch in eine Großstadt gehört. Dass es Orte gibt, die nicht spektakulär sind und trotzdem nicht austauschbar.

Vielleicht ist das die eigentliche Bitterkeit dieser Blumen: Sie wollen uns nicht trösten. Aber sie zeigen uns eine Wunde, an der wir ohnehin schon tragen.

Und das genügt.

Es ist genug.
 
 
link zum Signaturen-Magazin:
 
 
 

Samstag, 3. Mai 2025

Neue Gedichte von Matthias Schramm

 
Neu im April erschien als Band 39 der Lyrik-Edition NEUN, Matthias Schramms erster Gedichtband Bitterblumen
Hier zum Einfühlen in seine Lyrik, eine "Weiszeit" und zwei Gedichte. Eine wunderbare Lyrikwelt erwartet die Neugierigen. Und diese Gedichte sind NICHT im Band enthalten:
 

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
































Freitag, 7. Februar 2025

Drei neue Bände der Lyrik-Edition NEUN in Vorbereitung

 

Gegenwärtig im Layout für ein Erscheinen im 1. und 2. Quartal 2025:

 

Ingo Cesaro: Kreidestaub

Hanns Meinke: Merlinzauber

Matthias Schramm: Bitterblumen

 

 






Frühere Postings

13.12.2025: 9. Wilmersdorfer Lesesalon

  Der 9. Wilmersdorfer Lesesalon kommt im Dezember. Und es lohnt sich... Die Bewoohnerin der Wilmersdorfer Lesesalon der Künstlerkolonie Ber...